Ein Sonderfall, der viele Fragen aufwirft ist der, dass der Arbeitnehmer erkrankt ist und diese Erkrankung dauerhaft besteht. In vielen solcher Fälle ist es so, dass der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub dann schon wegen der Arbeitsfähigkeit nicht nehmen kann. Es stellen sich dann verschiedene rechtliche Fragen, insbesondere nach dem Verfall, der Verjährung oder der Auszahlung des Urlaubsanspruchs.
Urlaub und Krankheit
Wie bereits ausgeführt wurde, schließen sich Arbeitsunfähigkeit und Urlaub grundsätzlich aus. Ein Arbeitnehmer kann entweder Urlaub nehmen oder er ist krank. Beides auf einmal geht nicht. Kann der dauerhaft erkrankte Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Ende des Jahres nicht mehr nehmen, dann bleibt der Urlaub zunächst grundsätzlich bestehen.
Urlaubsanspruch nicht erfüllt
Der Gläubiger des Urlaubsanspruchs ist der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber muss als Urlaubschuldner den Anspruch auf den Erholungsurlaub erfüllen. Es kann aber verschiedene Gründe geben, weshalb der Urlaub im laufenden Kalenderjahr nicht genommen werden kann.
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Urlaubsverhinderung --> Arbeitsvertragsende
Urlaubsverhinderung --> Nichtantritt
Urlaubsverhinderung --> Nichtgewährung
Urlaubsverhinderung --> Arbeitsunfähigkeit
Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr
Das Bundesurlaubsgesetz sieht für den Mindesturlaub vor, dass dieser-sofern man den Urlaub unverschuldet nicht nehmen kann-auf das nächste Kalenderjahr übertragen wird. Geregelt ist dies in § 7 Abs. 3, Satz 2 des Bundesurlaubsgesetz.
Verfall des Urlaubs zum 31. März des Folgejahres
Allerdings sieht das Bundesurlaubsgesetz in § 7 Abs. 3, Satz 3 Bundesurlaubsgesetz auch vor, dass Urlaub, der nicht bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden kann, verfällt.
"Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden."
kein Verfall mehr nach der Rechtsprechung
Dies ist die gesetzliche Regelung, welche aber mittlerweile nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes und des EuGH nicht mehr so zur Anwendung kommen. Der kranke Arbeitnehmer kann nichts dafür, dass er seinen Urlaub nicht nehmen kann und von daher kann nicht einfach der Urlaub verfallen.
Urlaubsanspruch verfällt nur
Für den "normalen" nicht erkrankten Arbeitnehmer gilt danach:
Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nach dem Bundesurlaubsgesetz (Mindesturlaub) verfällt dann nicht, wenn der Arbeitgeber ihn nicht frühzeitig zur Urlaubsaufnahme aufgefordert hat und auf einen Verfall bei fehlender Aufnahme hingewiesen hat.
alte Rechtslage - der dauerhaft erkrankte Arbeitnehmer
Früher galt, dass die Urlaubsansprüche des langfristig erkrankten Arbeitnehmers 15 Monate nach Ende des für den Urlaubsanspruch entscheidenden Kalenderjahres verfallen. Dies galt sowohl für die gesetzlichen als auch grundsätzlich für die tariflichen Urlaubsansprüche. Die Urlaubsansprüche des dauerhaft erkrankten verfielen danach mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres. Dies galt auch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.
neue Rechtslage - der dauerhaft erkrankte Arbeitnehmer
Die Rechtslage hat sich nach der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 22.09.2022, Az.: C-518/20) geändert. Das BAG hatte nämlich dem EuGH die Frage vorgelegt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, bei dem eine volle Erwerbsminderung im Verlauf des Urlaubsjahres eingetreten ist, 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. zu einem späteren Zeitpunkt verfallen kann (Urteil 07.07.2020 - 9 AZR 245/19). Der EuGH hat nun diese Rechtsfrage entschieden. Der EuGH hat für den dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer entschieden, dass der Urlaubsanspruch nicht verfällt, da dieser den Urlaub nicht nehmen konnte. Der EuGH hat in 3 Entscheidungen maßgeblich das deutsche Urlaubsrecht beeinflusst.
Verjährung des Urlaubsanspruchs?
In Bezug auf die Verjährung (dritter Fall, den der EuG zu entscheiden hatte) führte der Europäische Gerichtshof aus, dass eine Abgeltung der Urlaubstage wegen Verjährung nur dann ausscheidet, wenn der Arbeitgeber dafür gesorgt hat, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrnehmen konnte. Eine Arbeitnehmerin geklagt, die ihren Urlaub nach eigener Aussage wegen des hohen Arbeitsaufwands nicht nehmen konnte und forderte eine Abgeltung der Urlaubstage.
Gegenüberstellung der alten und der neuen Rechtslage
| alte Rechtslage | neue Rechtslage |
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rechtliche Grundlage | alte Entscheidung des BAG | neue Entscheidung des EuGH vom 22.09.2022, Az.: C-518/20 |
Urlaubsverfall bei dauerhafter Erkrankung des Arbeitnehmers | nach 15 Monaten zum 31.03. | kein automatischer Verfall - allenfalls nur denkbar, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nehmen konnte |
Verjährung des Urlaubs? | nach alter Rechtsprechung ja | nach dem EuGH nur, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub auch tatsächlich nehmen konnte |
Gilt ab wann? | Gilt ab sofort nicht mehr! | Gilt ab sofort! |
Ausnahme nach dem EuGH
Von den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen ist eine Ausnahme denkbar, um die negativen Folgen einer unbegrenzten Ansammlung von Urlaubsansprüchen nach Abwesenheit wegen Langzeiterkrankung zu vermeiden. Wann dies vorliegt, hat der EuGH nicht entschieden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis bei langer Erkrankung selbst kündigen kann - aus personenbedingten Gründen - und damit verhindern kann, dass sich über einen sehr langen Zeitraum solche Urlaubsansprüche ansammeln.
Achtung: Urlaubsabgeltung
Die obigen Grundsätze sind für die Gewährung des Urlaubs entschieden worden. Eine Ausnahme war nur der 3. Fall; dort ging es um Urlaubsabgeltung. Die Urlaubsabgeltung entsteht 1 Tag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und kann Ausschlussfristen im Arbeitsvertag oder Tarifvertrag unterliegen sowie der Verjährung. Da dies ein Geldanspruch ist, greift die Argumentation des EuGH hier nicht, dass der Arbeitnehmer diese nicht geltend machen konnte.