Betriebsbedingte Kündigung – Was ist das und wie läuft sie ab?
Begriff der betriebsbedingten Kündigung
Eine betriebsbedingte Kündigung ist eine der häufigsten ordentlichen Kündigungen in Deutschland. Diese erfolgt, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus äußeren betrieblichen Gründen beendet. Mögliche Ursachen sind Rationalisierungen, Standortverlagerungen, Digitalisierung oder wirtschaftlicher Druck. Dabei dürfen persönliche oder verhaltensbezogene Gründe keine Rolle spielen.
Englisch: Betriebsbedingte Kündigung = "termination for operational reasons" oder "redundancy dismissal".
Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur wirksam, wenn:
Dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen (z. B. Wegfall von Arbeitsplätzen)
Keine anderweitige Weiterbeschäftigung möglich ist
Eine Sozialauswahl nach festgelegten Kriterien durchgeführt wird
Der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde
Die gesetzliche oder vertraglich geregelte Kündigungsfrist eingehalten wurde
Prüfungsschema: Betriebsbedingte Kündigung
Prüfschritt
Inhalt / Frage
Unternehmerentscheidung
Liegt eine kündigungsbegründende Unternehmerentscheidung vor? (außer-/innerbetrieblich)
Dauerhafter Wegfall Beschäftigung
Ist der Arbeitsplatz dauerhaft weggefallen (Prognoseprinzip)?
Keine milderen Mittel (Ultima Ratio)
Gibt es keine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung oder andere mildere Mittel?
Dringlichkeit
Ist das betriebliche Erfordernis tatsächlich dringend?
Sozialauswahl
Wurde die Sozialauswahl korrekt durchgeführt?
Auswahlrelevanter Personenkreis
Wurden alle vergleichbaren Arbeitnehmer einbezogen?
Soziale Gesichtspunkte
Wurden Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung berücksichtigt?
Ausnahmen von der Sozialauswahl
Liegen berechtigte betriebliche Interessen für Ausnahmen vor?
Auswahlrichtlinien
Gibt es ggf. Auswahlrichtlinien nach § 1 Abs. 4 KSchG?
Betriebsänderung
Liegt eine Betriebsänderung nach § 1 Abs. 5 KSchG vor?
Ablauf und typische Fehlerquellen
Fehlerhafte Sozialauswahl, unklare Dokumentation oder Missachtung des Betriebsrats können zur Unwirksamkeit führen. Die Gründe für die Kündigung müssen schriftlich fixiert sein. Vorlage: Muster-Vorlage für betriebsbedingte Kündigung.
Vergleichbare Mitarbeiter müssen anhand dieser Kriterien bewertet werden:
Dauer der Betriebszugehörigkeit
Lebensalter
Unterhaltspflichten
Schwerbehinderung
Fehlerhafte Auswahl kann in einer Kündigungsschutzklage angegriffen werden.
Besonderheiten bei Kleinbetrieben und Sonderkündigungsschutz
In Kleinbetrieben gelten Einschränkungen des Kündigungsschutzes nicht. Dennoch darf keine sittenwidrige oder diskriminierende Kündigung erfolgen. Sonderkündigungsschutz gilt z. B. für Schwangere und Betriebsratsmitglieder.
Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung (betriebsbedingte kündigung abfindung)
Nur bei Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage und Angebot im Kündigungsschreiben (§ 1a KSchG) besteht ein gesetzlicher Anspruch. Faustformel: 0,5 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr. Häufig wird die Abfindung individuell verhandelt.
Kündigungsfrist bei betriebsbedingter Kündigung (betriebsbedingte kündigung frist)
Die Frist ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder § 622 BGB. Sie ist abhängig von der Betriebszugehörigkeit.
Betriebsbedingte Kündigung und Arbeitslosengeld
Bei rechtzeitiger Meldung bei der Arbeitsagentur besteht in der Regel Anspruch auf ALG I. Sperrzeiten treten nicht ein, da die Kündigung vom Arbeitgeber ausgeht.
Handlungsoptionen für Arbeitnehmer
Kündigung prüfen lassen, Unterlagen sichern, rechtzeitig Klage erheben. Abfindungsverhandlungen oder einvernehmliche Aufhebung sind oft möglich.
Vergleich: Kündigungsarten im Arbeitsrecht
Kündigungsart
Voraussetzungen
Typische Gründe
Besonderheiten / Hinweise
Betriebsbedingte Kündigung
Dringende betriebliche Erfordernisse, Sozialauswahl, keine Weiterbeschäftigung möglich
Anspruch auf Abfindung meist nur bei Angebot nach § 1a KSchG
Personenbedingte Kündigung
Fehlende Eignung oder Fähigkeit, keine Weiterbeschäftigung möglich
Krankheit, fehlende Arbeitserlaubnis
Oft längere Fehlzeiten, betriebliches Eingliederungsmanagement empfohlen
Verhaltensbedingte Kündigung
Pflichtverletzung, Abmahnung, keine Besserung
Unpünktlichkeit, Arbeitsverweigerung
Vorherige Abmahnung meist erforderlich
Kündigungsschutzklage: Wie kann man sich wehren?
Klage binnen 3 Wochen ab Zugang einreichen. Erfolgschancen hängen von der Dokumentation und der Sozialauswahl ab. Viele Verfahren enden mit Abfindungsvergleichen.
Der Kündigungsprozess aus rechtlicher Sicht
Nur wenn alle Formalien beachtet werden (z. B. Anhörung, Fristen, schriftliche Form und weitere Voraussetzungen), ist die Kündigung wirksam. Auch die Zustellung des Kündigungsschreibens muss im Kündigungsschutzprozess vom Arbeitgeber nachgewiesen werden, sofern der Zugang vom Arbeitnehmer wirksam (substantiiert) bestritten wurde.
Strategische Überlegungen für Arbeitgeber
Vor der Kündigung sollten Alternativen geprüft werden: Versetzung, Kurzarbeit, Aufhebungsvertrag. Eine sorgfältige Dokumentation reduziert rechtliche Risiken.
§ 1a Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung
(1) Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 und erhebt der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, hat der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung. Der Anspruch setzt den Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung voraus, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann.
(2) Die Höhe der Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. § 10 Abs. 3 gilt entsprechend. Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden.
Überblick: Voraussetzungen & Besonderheiten der betriebsbedingten Kündigung
Kriterium
Erläuterung
Dringende betriebliche Erfordernisse
Wirtschaftliche Gründe, Umstrukturierung, Wegfall von Arbeitsplätzen
Sozialauswahl
Auswahl nach Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung
Anhörung des Betriebsrats
Vor jeder Kündigung muss der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört werden
Abfindung
Gesetzlicher Anspruch selten, häufig im Vergleich oder nach § 1a KSchG
Klagefrist
Kündigungsschutzklage muss innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben werden
Besonderer Kündigungsschutz
Gilt z. B. für Schwangere, Schwerbehinderte, Betriebsratsmitglieder
BAG, Urteil vom 19.10.2017 – 8 AZR 845/15: Kein Wiedereinstellungsanspruch im Kleinbetrieb
Arbeitnehmer in Kleinbetrieben haben nach einer betriebsbedingten Kündigung grundsätzlich keinen Wiedereinstellungsanspruch. Das BAG entschied, dass die zum Wiedereinstellungsanspruch entwickelten Grundsätze nicht für Kleinbetriebe (§ 23 Abs. 1 KSchG) gelten, da dort das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet.
Im konkreten Fall hatte ein Arbeitnehmer einer Apotheke mit sieben Beschäftigten nach einer betriebsbedingten Kündigung und späterer Weiterführung des Betriebs auf Wiedereinstellung geklagt. Das BAG lehnte dies ab: Ein Wiedereinstellungsanspruch besteht nur, wenn das KSchG anwendbar ist. In Kleinbetrieben bleibt der Schutz auf Fälle sitten- oder treuwidriger Kündigungen nach §§ 138, 242 BGB beschränkt.
Beraterhinweis: Auch im Kleinbetrieb muss bei Auswahlentscheidungen ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme gewahrt bleiben.
BAG Urt. v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15; LAG Düsseldorf – 4 Sa 1289/14
Mein Podcast zum Arbeitsrecht: Kündigung & Abfindung
🎙 Podcast: „Kündigung - Schritt für Schritt erklärt“
Rechtsanwalt Andreas Martin
📍 Fachanwalt für Arbeitsrecht
📍 Storkower Straße 139 b, 10407 Berlin
Viele Mandanten kommen nicht nur aus dem direkten Umfeld, sondern auch aus angrenzenden Stadtteilen wie Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, wo betriebsbedingte Kündigungen und Abfindungsverhandlungen häufig eine Rolle spielen.
Wann ist eine betriebsbedingte Kündigung zulässig?
Wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, keine Weiterbeschäftigung möglich ist, die Sozialauswahl korrekt durchgeführt wurde und der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde.
Wie funktioniert die Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung?
Der Arbeitgeber muss vergleichbare Mitarbeiter nach sozialen Kriterien bewerten: Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung. Die Auswahl darf nicht willkürlich sein.
Gibt es einen Anspruch auf Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung?
Ein gesetzlicher Anspruch besteht nur, wenn der Arbeitgeber diesen im Kündigungsschreiben nach § 1a KSchG anbietet und keine Kündigungsschutzklage erhoben wird. In anderen Fällen ist die Abfindung Verhandlungssache.
Wie lange ist die Klagefrist bei einer betriebsbedingten Kündigung?
Die Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht werden. Danach gilt die Kündigung als wirksam.
Kann ich während der Kündigungsfrist freigestellt werden?
Ja, der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer freistellen – unter Fortzahlung der Vergütung. Es muss aber geregelt sein, ob der Urlaub angerechnet wird.
Bekomme ich Arbeitslosengeld nach einer betriebsbedingten Kündigung?
Ja, sofern die Anwartschaftszeit erfüllt ist und die rechtzeitige Meldung bei der Agentur für Arbeit erfolgt, besteht ein Anspruch auf ALG I ohne Sperrzeit.