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Betriebliche Übung – Was ist das und welche Bedeutung hat sie?

Betriebliche Übung – Arbeitsrecht
Arbeitsrecht von A bis Z erklärt das Thema betriebliche Übung praxisnah.

Begriff der betrieblichen Übung

Die betriebliche Übung ist ein zentrales „Phänomen“ im Arbeitsrecht, das zur Anspruchsentstehung aufgrund wiederholter freiwilliger Gewährung bestimmter Leistungen durch den Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer oder an bestimmte Arbeitnehmergruppen führt.

Wann liegt eine betriebliche Übung vor?

Sie liegt vor, wenn der Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Leistungen oder Vergünstigungen (z. B. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Sonderzahlungen) regelmäßig, gleichförmig und vorbehaltlos gewährt – und die Arbeitnehmer daraus unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) berechtigterweise schließen dürfen, dass diese Leistungen auch künftig gewährt werden.

Ist diese dann für den Arbeitgeber verbindlich?

Aus einer solchen betrieblichen Übung kann ein verbindlicher Rechtsanspruch für die Arbeitnehmer entstehen, der ähnlich wie eine vertragliche Zusage wirkt.

Rechtsgrundlage und Dogmatik

Die betriebliche Übung ist nicht explizit im Gesetz verankert, sondern wurde maßgeblich durch die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entwickelt und anerkannt. Ihre dogmatischen Grundlagen sind vielschichtig:

Vertragstheorie

Die vorherrschende Vertragstheorie sieht in der regelmäßigen Wiederholung bestimmter Arbeitgeberverhaltensweisen ein konkludentes Vertragsangebot, das der Arbeitnehmer stillschweigend (§ 151 BGB) annimmt. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber tatsächlich einen expliziten Verpflichtungswillen hatte, sondern allein darauf, ob der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung aller Begleitumstände auf einen Bindungswillen schließen durfte.

Vertrauenstheorie

Die Vertrauenstheorie argumentiert hingegen, dass die Anspruchsentstehung primär auf dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und § 242 BGB (Treu und Glauben) basiert. Es verstoße demnach gegen Treu und Glauben, wenn der Arbeitgeber wiederholt und vorbehaltlos erbrachte Leistungen einstellt, ohne dass der Arbeitnehmer dies erwarten muss.

Trotz dieser unterschiedlichen dogmatischen Ansätze führen sie in der Praxis häufig zu identischen Ergebnissen bezüglich der Entstehung eines Anspruchs.

Das Wichtigste vorab:

  • Eine betriebliche Übung entsteht durch regelmäßige (oft dreimalige), gleichartige und vorbehaltlose Leistungen des Arbeitgebers.
  • Der Anspruch kann sich auch auf neu eintretende Arbeitnehmer erstrecken.
  • Typische Beispiele: Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Bonuszahlungen, Personalrabatte, zusätzliche Pausen.
  • Arbeitnehmer erwerben einen Rechtsanspruch auf die Leistung.
  • Der Arbeitgeber kann einer betrieblichen Übung durch einen klaren und transparenten Freiwilligkeitsvorbehalt begegnen.
  • Die Beendigung einer entstandenen betrieblichen Übung ist nur durch Änderungskündigung oder eine einvernehmliche Regelung möglich, nicht durch eine "negative betriebliche Übung".

Wie entsteht eine betriebliche Übung?

Eine betriebliche Übung entsteht, wenn der Arbeitgeber über einen bestimmten Zeitraum hinweg eine Leistung wiederholt und in gleicher Weise gewährt, ohne gleichzeitig deutlich zu machen, dass er sich für die Zukunft nicht binden will.

Voraussetzungen für die Anspruchsentstehung

Für die Praxis ist entscheidend, ob aufgrund des wiederholten Verhaltens des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte auf den Willen zur dauerhaften Gewährung der Leistung an die jeweilige Arbeitnehmergruppe geschlossen werden kann.

  • Wiederholung und Regelmäßigkeit: Die Leistung wird mehrfach über einen bestimmten Zeitraum gewährt. Ein oft zitierter Regelfall ist die dreimalige vorbehaltslose Gewährung freiwilliger, jährlicher Sonderzahlungen. Allerdings ist auch bei Leistungen in unterschiedlicher Höhe die Annahme eines Bindungswillens des Arbeitgebers nicht mehr ausgeschlossen.
  • Gleichförmigkeit: Die Leistung ist in Art und den zugrundeliegenden Bedingungen vergleichbar.
  • Vorbehaltlosigkeit: Der Arbeitgeber erklärt keinen klaren und transparenten Vorbehalt oder schließt die Freiwilligkeit nicht ausdrücklich aus.
  • Kollektivbezug: Die betriebliche Übung setzt begrifflich stets einen Kollektivtatbestand voraus, d.h., sie muss sich auf eine nach abstrakten Regeln abgrenzbare Arbeitnehmergruppe beziehen, nicht nur auf einzelne Arbeitnehmer (Abgrenzung zur "individuellen Übung").
  • Kein Normvollzug: Die betriebliche Übung entsteht nicht, wenn der Arbeitgeber erkennbar zur Erfüllung einer tatsächlich bestehenden oder nur angenommenen rechtlichen Verpflichtung leistet. Der Arbeitnehmer darf nicht auf ein Angebot des Arbeitgebers schließen, wenn er davon ausgeht, die Leistung stünde ihm ohnehin aus einem anderen Rechtsgrund zu.

Beispiele für Gegenstände der betrieblichen Übung

Der Gegenstand einer betrieblichen Übung kann weitreichend sein und alles umfassen, was auch Inhalt eines Arbeits- oder Tarifvertrages sein könnte.

LeistungstypKonkretes Beispiel
GeldleistungenWeihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Bonuszahlungen, Prämien, 13. Monatsgehalt, Fahrtkostenzuschuss, Überstundenzuschläge
SachleistungenPersonalrabatte, Teilnahme am kostenlosen Werksbusverkehr
Freizeit & ArbeitszeitZusätzliche Pausen, Freistellungen für bestimmte Anlässe
VorsorgeleistungenAnsprüche auf betriebliche Altersversorgung
TarifbezugStatische Bezugnahme auf Tarifverträge, z.B. bei Lohnerhöhungen

Auch neu eintretende Arbeitnehmer profitieren von bestehenden betrieblichen Übungen, da die Rechtsprechung davon ausgeht, dass solche begünstigenden Leistungen im Betrieb bekannt werden und der neue Mitarbeiter das konkludente Angebot des Arbeitgebers stillschweigend annimmt.

Wichtiger Hinweis für Arbeitgeber:

Ein klar formulierter Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalt im Schreiben zur Leistungszusage oder in der Lohnabrechnung ist essenziell, um die Entstehung eines Anspruchs aus betrieblicher Übung zu verhindern. Dieser muss transparent und eindeutig sein und darf den Arbeitnehmer nicht irreführen.

Rechtliche Folgen und Beendigung der betrieblichen Übung

Durch die Entstehung einer betrieblichen Übung erwerben die Arbeitnehmer einen verbindlichen, vertraglichen Anspruch auf die jeweilige Leistung. Diesen Anspruch kann der Arbeitgeber nicht ohne Weiteres einseitig entziehen oder ändern.

Beendigungsmöglichkeiten einer entstandenen betrieblichen Übung

Eine einmal entstandene betriebliche Übung kann nur durch bestimmte arbeitsrechtliche Wege beendet werden:

  • Änderungskündigung: Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis kündigen und gleichzeitig ein neues Arbeitsverhältnis unter geänderten, die Leistung ausschließenden oder modifizierenden Bedingungen anbieten. Dies ist jedoch an strenge rechtliche Voraussetzungen geknüpft und die Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein.
  • Betriebsvereinbarung: Eine neue Betriebsvereinbarung kann eine bestehende betriebliche Übung ablösen oder modifizieren, sofern sie für alle betroffenen Arbeitnehmer gilt.
  • Einvernehmliche Regelung: Arbeitgeber und Arbeitnehmer können eine individuelle, einvernehmliche Änderung der vertraglichen Bedingungen vereinbaren, die die aus der betrieblichen Übung erwachsene Leistung ausschließt oder ändert.

Wichtig: Eine sogenannte "negative betriebliche Übung" – also die Beendigung einer bestehenden Übung durch ein wiederholtes Unterlassen der Leistung – wird von der aktuellen Rechtsprechung nicht mehr anerkannt. Der Arbeitgeber kann eine entstandene betriebliche Übung also nicht einfach dadurch beenden, dass er die Leistung mehrfach nicht mehr erbringt.

Verhinderung der Entstehung eines Anspruchs

Will der Arbeitgeber die Entstehung einer Bindung qua betrieblicher Übung verhindern, sind vorbeugende Maßnahmen unerlässlich:

  • Klarer Freiwilligkeitsvorbehalt: Der Arbeitgeber muss bei der Gewährung der Leistung eindeutig und transparent zum Ausdruck bringen, dass auch bei wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet werden soll. Dieses muss idealerweise bei jeder einzelnen Leistungsgewährung erfolgen.
    • Achtung bei laufendem Entgelt: Bei laufendem Entgelt (z.B. Lohn oder Gehalt) sind Freiwilligkeitsvorbehalte nach der Rechtsprechung grundsätzlich unwirksam, da sie die synallagmatische Verknüpfung von Arbeit und Entgelt unangemessen benachteiligen. Bei Sonderzahlungen sind sie jedoch zulässig.
    • AGB-Kontrolle: Freiwilligkeitsvorbehalte unterliegen der AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. BGB) und können unwirksam sein, wenn sie intransparent sind oder den Arbeitnehmer irreführen. Eine Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt kann ebenfalls zur Intransparenz und damit zur Unwirksamkeit führen.
  • Schriftformklauseln: Eine doppelte Schriftformklausel im Arbeitsvertrag, die auch Änderungen der Schriftformklausel selbst der Schriftform unterstellt, kann das Entstehen eines Anspruchs im Wege der betrieblichen Übung verhindern. Aber auch hier sind die Anforderungen an die Transparenz hoch.

Praxis-Tipp für Arbeitgeber:

Um die Entstehung einer betrieblichen Übung zu vermeiden, sollten Sie bei der Gewährung von freiwilligen Sonderzahlungen stets einen klaren, transparenten und unmissverständlichen Freiwilligkeitsvorbehalt verwenden. Nehmen Sie idealerweise keine generellen Regelungen zu solchen Sonderzahlungen in den Arbeitsvertrag auf.

§ 242 BGB – Leistung nach Treu und Glauben

§ 242 BGB

§ 242 BGB

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

BAG, Urteil vom 25. Januar 2023 – 10 AZR 109/22

Urteil BAG zur betrieblichen Übung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in jüngster Vergangenheit mehrfach betont, dass für das Entstehen einer betrieblichen Übung entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben auf einen Bindungswillen schließen durfte. Eine betriebliche Übung kann auch dann entstehen, wenn der Arbeitgeber Leistungen in unterschiedlicher Höhe erbracht hat. Die Gerichte überprüfen dabei stets die konkreten Umstände des Einzelfalls.

Ablauf: Entstehung & Beendigung einer betrieblichen Übung – als Übersicht

  1. Arbeitgeberverhalten: Arbeitgeber gewährt eine Leistung (z. B. Weihnachtsgeld) regelmäßig (oft 3 Mal) und vorbehaltlos.
  2. Vertrauensbildung: Arbeitnehmer nehmen die Leistung an und dürfen aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers auf einen Bindungswillen für die Zukunft schließen.
  3. Anspruchsentstehung: Es entsteht ein verbindlicher Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf die Leistung, die damit zum Vertragsinhalt wird.
  4. Beendigung (nur schwer): Eine entstandene betriebliche Übung kann nur durch Änderungskündigung oder eine einvernehmliche vertragliche Regelung beendet werden, nicht durch bloßes Einstellen der Leistung.

Praxis-Tipp für Arbeitgeber: Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, ist es ratsam, bei der Gewährung von freiwilligen Sonderzahlungen oder sonstigen Vorteilen stets klare, juristisch geprüfte Freiwilligkeitsvorbehalte zu formulieren und diese bei jeder Leistungserbringung zu wiederholen. Nehmen Sie sich die Zeit, Ihre internen Richtlinien und Kommunikationen entsprechend anzupassen.

FAQ zur betriebsbedingten Kündigung

Was ist eine betriebliche Übung?

Eine betriebliche Übung entsteht, wenn der Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Leistungen (z. B. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld) regelmäßig und vorbehaltlos gewährt. Daraus kann ein verbindlicher Anspruch der Arbeitnehmer auf diese Leistungen entstehen.

Wie oft muss eine Leistung gewährt werden, damit eine betriebliche Übung entsteht?

In der Regel genügt es, wenn eine freiwillige Leistung dreimal in Folge vorbehaltlos gewährt wird. Die genaue Anzahl kann aber je nach Einzelfall und Art der Leistung variieren.

Wie kann der Arbeitgeber eine betriebliche Übung verhindern?

Der Arbeitgeber muss bei jeder Leistung einen klaren und transparenten Freiwilligkeitsvorbehalt erklären. Nur so kann verhindert werden, dass ein Anspruch für die Zukunft entsteht.

Kann eine betriebliche Übung einfach beendet werden?

Nein, eine entstandene betriebliche Übung kann nicht durch bloßes Einstellen der Leistung beendet werden. Es ist in der Regel eine Änderungskündigung oder eine einvernehmliche Regelung erforderlich.

Gilt die betriebliche Übung auch für neue Arbeitnehmer?

Ja, auch neu eingestellte Arbeitnehmer können von einer bestehenden betrieblichen Übung profitieren, wenn die Leistung im Betrieb bekannt ist und regelmäßig gewährt wird.

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